Übergewicht bei Müttern beeinflusst Beziehung zum Kind
Eine neue Studie des IFB AdipositasErkrankungen zeigt: Starkes Übergewicht von Müttern kann sich negativ auf die Mutter-Kind-Bindung auswirken.

Das IFB Forschungsteam fand in einer Studie heraus, dass Kinder von adipösen Müttern eine schlechtere Bindung an ihre Mütter haben, als die Kinder normalgewichtiger Mütter. Um diese Bindung bewerten zu können, wurden Mutter und Kind in mehreren Sitzungen von Forschern beobachtet und ihre Bindungsstärke nach dem so genannten Attachment Q-Set (AQS) gemessen. Die Wissenschaftler beschreiben dabei anhand von 90 Fragen, wie sehr das Kind seine Mutter als einen „sicheren Hafen“ wahrnimmt.
Die Diplom-Psychologin Anja Keitel-Korndörfer führte neben weiteren Kollegen die Studie zur Mutter-Kind-Bindung durch und stand nun für Fragen dazu Rede und Antwort:
Warum ist die Studie wichtig im Rahmen der Erforschung der Adipositas?
Studien zu Diäten und Gewichtreduktionsprogrammen zeigen bislang nur eine geringe und meist nicht dauerhafte Wirksamkeit. Deshalb besteht weiterhin dringender Bedarf, die Ursachen von Adipositas weiter zu erforschen, um dort ansetzen zu können. Da bei Diäten für Kinder und Jugendliche außerdem bekannt ist, dass sie zum Beispiel das Risiko für Essstörungen erhöhen – gilt es, andere Wege entweder der Prävention oder Intervention zu finden.
Wir wissen außerdem, dass Adipositas auf viele verschiedene Ursachen zurückgeht. Je mehr Risiko- aber auch Schutzfaktoren wir identifizieren können, desto eher können geeignete Präventions- oder Interventionsstrategien entwickelt werden.
Was konnten Sie durch Ihre Studie aufzeigen?
Unser Ziel war es, Ansätze für Interventionen zu finden, die sehr früh im Leben beginnen, also in einem Alter, in dem sich zwar mitunter schon kritische Gewichtstendenzen zeigen, ein ungesundes Essverhalten sich jedoch noch nicht verfestigt hat. An der vorliegenden Studie nahmen daher die jüngsten Probanden des IFB teil – Kinder ab 18 Monaten bis unter fünf Jahren. Wir wollten wissen, ob sehr frühe und damit prägende Erfahrungen zwischen Mutter und Kind Einfluss auf das Essverhalten und somit auf das Gewicht des Kindes nehmen.
Mit unserer Studie konnten wir zeigen, dass es neben einer genetischen und biologischen Komponente einen sehr frühen Einflussfaktor auf das Gewicht des Kindes durch die Mutter-Kind-Bindung gibt. Inwieweit ein Kind seine Mutter als „sicheren Hafen“ empfindet, also Sicherheit durch die Mutter erhält, hat Einfluss auf das Gewicht des Kindes. Dabei haben Kinder, die eher eine geringere Qualität der Bindung zu ihrer Mutter aufweisen, ein höheres Gewicht als Kinder, die sicherer gebunden sind.
Wir vermuten, dass unsicher gebundene Kinder quasi kompensatorisch zum Essen greifen, um diese Anspannung oder das situative Unwohlsein auszugleichen. Wir nennen das in der Forschung emotionales Essen, das heißt Essen zum Zwecke der Emotionsregulation, was wir auch schon bei kleinen Kindern beobachten können. Interessant war auch, dass adipöse Mütter im Vergleich zu normalgewichtigen Müttern eine geringere Bindungsqualität mit ihrem Kind aufweisen. Unsere Empfehlung für eine frühe Präventions- und Interventionsstrategie wäre demnach die Aufnahme von bindungsfördernden Maßnahmen in Behandlungsangebote für adipöse Eltern mit ihren Kindern.
Wie groß ist die Rolle der Mutter-Kind-Bindung in der Entstehung von Adipositas im Vergleich zu anderen Faktoren wie etwa der Vererbung?
In unserer Studie zeigte sich eindrücklich, dass die Mutter-Kind-Bindung neben den biologischen oder genetischen Parametern die Entstehung von Übergewicht bei Kindern zusätzlich erklärt und somit bedeutsam ist. Da wir bislang zur Prävention von Adipositas keine Veränderungen auf genetischer Ebene vornehmen wohl aber auf die Bindungsqualität einwirken können, erscheint dieses Ergebnis von besonderer Relevanz.
Woran erkennt man explizit, dass adipöse Mütter eine geringere Mutter-Kind-Bindung haben?
Der Attachment Q-Set misst verschiedene Verhaltensbereiche der Mutter-Kind-Interaktion – beispielsweise die Freude am Körperkontakt, Bedarf nach Sicherheit seitens des Kindes, das Explorationsverhalten des Kindes, die Regulation kindlicher Emotionen oder das Interesse an Fremdkontakten. Ein Kind, das seine Mutter nicht als „sicheren Hafen“ verinnerlicht hat, würde man daher beispielsweise daran erkennen, dass es wenig oder aber übermäßig die Nähe zur Mutter sucht – insbesondere in ungewohnten befremdlichen Situationen. Dieses Verhalten ließ sich in unseren zweistündigen Beobachtungssituationen gut beobachten, da die Anwesenheit einer für das Kind fremden Person nicht selten eine Verunsicherung für die Kleinen darstellt. Es zeigte sich aber auch darin, dass manche Mütter ihre Kinder nur schwer beruhigen konnten, wenn sie erschrocken waren oder sich wehgetan hatten.
Was ist das Attachement Q-Set? Wie „misst“ es die Bindungsstärke zwischen Mutter und Kind?
Der Attachment Q-Set ist ein Instrument zur Erhebung des Bindungsverhaltens zwischen Eltern - aber auch Erziehern - und dem Kind in natürlichem Kontext. Bei der Entwicklung des AQS war es dabei entscheidend, eine Methode zu entwickeln, die Kinder nicht derart unter Stress setzt wie der für das Säuglings- und Kleinkindalter sehr bekannte Fremde-Situations-Test. In diesem verlässt die Mutter unverhofft den Raum und das Kind bleibt mit einer fremden Person zurück. Entscheidend für die Beobachtung des Bindungsverhaltens ist in diesem Test, wie das Kind auf diese Trennung und die Wiederkehr der Mutter reagiert. Dem entgegen und damit auch ethisch vertretbarer sollte nun ein Verfahren entwickelt werden, bei welchem das Kind nicht von der Mutter getrennt wird. In unserem Fall unter Verwendung des AQS bedeutete dies, dass wir Mutter und Kind für zirka zwei Stunden passiv begleitet und beobachtet haben. Beobachtet wurde das sogenannte secure-base-Verhalten. Dies zeigt, dass die Bezugsperson als „sicherer Hafen“ dient. Dieses Verhalten wird dann anhand von 90 Fragen von einem oder zwei unabhängigen Beobachtern beschrieben. Am Ende erhält man einen Bindungswert, der Auskunft darüber gibt, in welchem Maße das Kind in der Lage ist, seine Mutter als sichere Basis anzunehmen bzw. inwieweit die Mutter ihm die Möglichkeit hierzu gewährt.
Was sind die Schwachstellen der Studie?
Es wäre - wie so oft in der Forschung - erfreulich gewesen, hätten wir noch deutlich mehr Familien in die Erhebung einschließen können, da Effekte mit kleinen Stichproben recht vorsichtig zu interpretieren sind. Da unsere Erhebungen durch die Hausbesuche bei den Familien und einer mehrstündigen Auswertung pro Kind unsere Ressourcen erschöpften, war dies leider nicht möglich. Äußerst spannend wäre es etwa auch, die Bindung zwischen Vater und Kind zusätzlich zu erheben oder die Bindungsstile der Eltern selbst – hieraus könnte sich weitere Risiko- aber auch Schutzfaktoren ergeben.
Sandra Strahlendorf
Doris Gabel