Fat is Fabulous?
Neue Plus-Size-Ikonen sowie Mode- und Lifestyle-Bloggerinnen prägen das Bild eines sich wandelnden Schönheitsideals. Kampagnen wie "EffYourBeautyStandards" und Slogans wie "Fat is Fabulous" fordern u. a. mehr Akzeptanz und Anerkennung von Menschen mit Adipositas sowie einen neuen Schönheitsbegriff.

Figuren wie das Übergrößen- oder Plus-Size-Model Tess Holliday oder Mode- und Lifestyle-Bloggerinnen wie Garner Style, Nicolette Mason oder Ashley Graham, prägen eine neue Bewegung der Selbstakzeptanz und Selbstliebe bei Menschen mit starkem Übergewicht. Vor allem in Internet und Social Media stoßen Kampagnen wie Hollidays EffYourBeautyStandards (etwa: Weg mit euren Schönheitsidealen) oder Slogans wie Fat is Fabulous (Fett ist fabelhaft) auf großes Interesse.
Geschichte der Fat-Acceptance-Bewegung
Ihren Ursprung hat die amerikanische Fat-Acceptance-Bewegung (Akzeptanz von Fett / Übergewicht) bereits in den sechziger Jahren, in die auch die Gründung der National Association to Advance Fat Acceptance (NAAFA) fällt. Ziel war es schon damals, auf die Ungleichbehandlung von Menschen mit Übergewicht aufmerksam zu machen und ihre Stigmatisierung und Diskriminierung zu bekämpfen. Die NAAFA forderte vor allem die Akzeptanz übergewichtiger Frauen, die besonders unter Druck stehen dem Schönheitsideal zu entsprechen, sowie ein Ende des Magerwahns und der Diäten. Die feministische Gruppe The Fat Underground prägte den Satz „Eine Diät ist ein Heilmittel, das nicht wirkt, für eine Krankheit, die es nicht gibt.“
In den folgenden Jahren wuchs die Bewegung weiter an und gewann durch Veröffentlichungen etwa von Marilyn Wann oder Nomy Lamm, sowie Konferenzen und eine steigende Zahl an Aktivistengruppen mehr Aufmerksamkeit in den Medien. Vor allem Frauen engagierten sich zunehmend und forderten ein Ende der Stigmatisierung und der Vorurteile gegenüber beleibten Menschen. Mit dem Aufkommen der Blogger-Kultur im Internet näherten sich die Feministen und Fat-Aktivistinnen zunehmend an: Sie diskutierten Themen wie ein positives Körperbild und die Vielfalt von – meist weiblicher – Schönheit in alle Größen und Formen.
Jeder kann schön und modisch sein
Bereits 1979 schuf Carole Shaw der Begriff Big Beautiful Woman (BBW), der auch im Titel ihrer Mode- und Lifestyle-Zeitschrift BBW Magazine erscheint und sich weit verbreitete. Das fehlende Angebot von modischer Kleidung in Übergrößen macht es übergewichtigen Menschen, insbesondere Frauen, noch heute schwer, sich attraktiv und begehrenswert zu fühlen. Modebloggerinnen wie Garner Style oder Luciana Blümlein zeigen in ihren Blogs, dass es viele Möglichkeiten gibt, sich modisch und sexy zu kleiden, unabhängig vom Körpergewicht.
Diese Akzeptanz des eigenen Körpers ist Teil des Kampfes gegen die weitverbreiteten psychologischen Probleme adipöser Menschen, wie Selbsthass, Scham, mangelndes Selbstwertgefühl. Die neue Bewegung zeichnet ein Gegenbild zu dem in Zeitschriften, Katalogen und Filmen allgegenwärtigen Ideal des schlanken Körpers. Die durch Schauspieler, Models und andere Stars verkörperte Vorstellung, dass nur schlanke, durchtrainierte Menschen gesund und schön sein können, steht immer mehr infrage.
Besonders großen Zuspruch erhält dabei das Plus-Size-Model Tess Holliday, die im Januar 2015 einen Vertrag mit der Agentur MiLK Model Management abschloss. Holliday begründete die EffYourBeautyStandards-Kampagne, mit der sie deutlich machen will, dass es keine allgemein gültige Auffassung von Schönheit gibt. Nach eigenen Angaben war sie es leid, sich vorschreiben zu lassen, was oder was sie nicht zu tragen hatte und wie sie ihren Körper aufgrund seiner Maße zu bedecken hat. Mittlerweile hat die Kampagne über 168.000 Anhänger auf der Social Media Plattform Instagram. Dort und auf weiteren Plattformen zeigt sie Bilder von übergewichtigen Frauen, die in modischer Kleidung posieren, ungeachtet dessen, was Medien und Gesellschaft als „angemessen“ für ihre Körperformen bezeichnen würden. Holliday ist es gelungen, vielen übergewichtigen Menschen dabei zu helfen, sich und ihre Körper zu akzeptieren und sich wieder als schön wahrzunehmen.
Akzeptanz statt Selbsthass
Eine weitere Kampagne ist die No Body Shame Kampagne von Whitney Way Thore. Die leidenschaftliche Tänzerin stellte zunächst Videos ihrer Choreographien auf YouTube. Einer dieser Clips verbreitete sich wie ein Lauffeuer und dies beflügelte Way Thore, ihre Kampagne für Akzeptanz und Selbstliebe ins Leben zu rufen. Sie möchte auch zeigen, dass ein übergewichtiger Körper sich attraktiv und sportlich bewegen kann. Thore selbst sagt: „I do want to lose weight. I’m not naïve to the health risks that are going to come to me at almost 400 lbs. But does that mean I’m going to hate myself in the process? No!“ (Ich möchte abnehmen. Mir sind die Gesundheitsrisiken bei meinem Gewicht von fast 181 Kilogramm bewusst. Aber bedeutet dies, dass ich mich selbst dabei hassen sollte? Nein!“)
Kritik an der Fat-Acceptance-Bewegung
Natürlich gibt es auch Kritiker der Fat-Acceptance-Bewegung und deren Protagonisten wie Holliday. Ein häufiger Einwand ist, dass Übergewicht schädlich ist und im Gesundheitssystem aufgrund der zahlreichen Folgeerkrankungen enorme Kosten verursacht. Gerade bei starkem Übergewicht (BMI > 35kg/m²) wächst die Gefahr von Typ-2-Diabetes, Gelenkbeschwerden, Bluthochdruck, Arterienverkalkung und Fettleber. Diese Erkrankungen belasten die Betroffenen körperlich und finanziell, schränken sie im beruflichen und privaten Leben stark ein. Die Mehrheit der stark übergewichtigen Männer und Frauen sind betroffen, nur rund ein Fünftel bleibt trotz zu vieler Kilos gesund. Adipositas sollte, so die Kritiker, deshalb nicht „salonfähig“ gemacht oder beschönigt werden. Gerade Jugendliche und junge Erwachsene sollten durch die Fat-Acceptance-Bewegung und ihre Social-Media-Bekanntheit nicht zu der Annahme gelangen, dass Übergewicht harmlos und in Ordnung sei. Die Risiken von Adipositas sollten auch in jungen Jahren nicht heruntergespielt werden, denn was z. B. bei einer 20-jährigen adipösen Frau noch ohne Folgen bleibt, kann 10 bis 20 Jahre später zu ernsten Erkrankungen führen, die viel Leid verursachen.
Was muss sich ändern?
Die Fat-Acceptance-Bewegung fordert allerdings zu Recht, dass die gesellschaftliche Ablehnung, Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit starkem Übergewicht enden muss. Auch wenn die Risiken von Adipositas im Bewusstsein sind, gibt es keinen Grund adipöse Menschen zu verurteilen und als hässlich abzustempeln. Eine andere gesellschaftliche Haltung würde ein breiteres Schönheitsempfinden erlauben. Denn wenn die „Scheuklappen“ entfallen, können auch die Schönheit und das Wesen beleibter Menschen wahrgenommen werden. Eine größere gesellschaftliche Akzeptanz verschiedener Körperformen könnte den Leidensdruck der Betroffenen senken und zugleich den Schlankheitswahn lindern. Ein Abbau der Ablehnung adipöser Menschen müsste einhergehen mit dem Ablegen des Irrglaubens, dass Übergewicht rein selbstverschuldet sei, und die Betroffenen undiszipliniert und faul seien. Es ist mittlerweile auch wissenschaftlich belegt, dass sich gerade die Ablehnung und Stigmatisierung adipöser Menschen negativ auswirken auf die Anstrengungen abzunehmen.
Es scheint allerdings noch ein langer Weg bis zur „Gleichbehandlung“ zu sein. Die Motive und Ziele der Fat-Acceptance-Bewegung sind verständlich. Es ist ihr gelungen, eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Allerdings ist es auch zu einer Polarisierung der Befürworter und Gegner gekommen. Es bleibt also spannend.
Sandra Strahlendorf
Links
Interview: The Guardian mit Tess Holliday