Soll Werbung für ungesunde Lebensmittel, die Kinder anspricht, verboten werden?
Kinder und Jugendliche sind eine beliebte Zielgruppe für die Werbung von Unternehmen. Sie stellen nicht nur einen direkten Absatzmarkt durch alterspezifische Produkte dar, sondern beeinflussen auch das Kaufverhalten ihrer Eltern. Besonders schädlich ist dabei die Werbung für ungesunde Lebensmittel.

So kritisiert der Verbraucherschutzverein „Foodwatch“ regelmäßig ungesunde Lebensmittelprodukte. Seit 2009 zeichnet die Organisation daher jährlich Unternehmen der Lebensmittelindustrie mit dem „Goldenen Windbeutel“ aus – ein Negativpreis für besonders dreiste Werbeversprechen und falsche Behauptungen. In den vergangenen beiden Jahren haben nach einer Verbraucherabstimmung die Produkte Capri Sonne und Alete Trinkmahlzeiten den Preis erhalten. Die beworbenen Lebensmittel können für Kinder und Kleinkinder sogar schädlich sein. Laut Aussage von Foodwatch können die hochkalorischen Trinkmahlzeiten von Nestle die Überfütterung und Kariesbildung fördern, obwohl sie als gesunde und babygerechte Nahrung beworben werden. 2013 erhielt Capri Sonne den Negativpreis, da der Hersteller sein stark zuckerhaltiges Erfrischungsgetränk an den Eltern vorbei u.a. auf gesponserten Sportevents und über Unterrichtsmaterial mit Werbelogo vermarktet.Die beiden genannten Beispiele sind leider keine Einzelfälle. Zu oft werden Kinder frühzeitig an überzuckerte Getränke und Nahrungsmittel gewöhnt, welche durch teils aggressive Marketingmaßnahmen der Lebensmittelkonzerne beworben werden. Folgen der ungesunden Ernährung können kindliches Übergewicht und die Zunahme von chronischen Erkrankungen sein.
Initiative der Weltgesundheitsorganisation gegen Kinder-Werbung für ungesunde Lebensmittel
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat jetzt ein Modell entwickelt, wie Lebensmittel klassifiziert werden können. Ein so genanntes „Nährstoff-Profiling“ für Lebensmittel ermöglicht eine Klassifizierung von Nahrungsprodukten nach ihren exakten Nährwerten. Lebensmittel mit zu viel Zucker, Fett, Salz oder Kalorien sollen gemäß dem WHO-Modell nicht mehr beworben werden dürfen. Insbesondere Produkte, die in eine bestimmte Klasse fallen, wie Schokolade, Süßwaren, Energieriegel, Kuchen, süße Backwaren, Fruchtsäfte und Energy Drinks dürften dann nicht mehr in Werbung für Kinder enthalten sein. Dazu gehören z. B. Milchgetränke mit zugesetzten Zuckern und/oder mehr als 2,5 g Fett pro 100 g, ebenso etwa Frühstückszerealien mit mehr als 10 g Fett und/oder mehr als 15 g Zucker und/oder über 1,6 g Salz pro 100 g. Regierungen können das WHO-Modell als Grundlage für Werbeverbote nach den einheitlich festgelegten Kriterien des Profiling nutzen. Sollte dieses Modell von den Länderregierungen umgesetzt werden, könnte dies Anreiz für die Industrie sein, ihre Produktrezepturen gesünder zu gestalten.
Bisher zeigt sich bei den Regierungen in der europäischen Union wenig Enthusiasmus zur Änderung der bestehenden Richtlinien. Ein gutes Beispiel dahingehend war der Vorschlag einer Ampelkennzeichnung auf Verpackungen, der für eine hitzige Debatte sorgte. Die letzte bundesdeutsche Regierung beschrieb ihre Haltung im Koalitionsvertrag sogar mit den Worten „Eine politische Steuerung des Konsums und Bevormundung der Verbraucher durch Werbeverbote und Strafsteuern lehnen wir ab“. Auch wenn es immer wieder einzelne Vorstöße von Verbraucherschutzverbänden zu einem Verbot von ungesunden Lebensmitteln in Kinderwerbung gibt, ist bisher noch nichts gesetzlich umgesetzt worden.
Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft hat anlässlich der WHO-Initiative das Thema „Werbung für Kinder“ am Weltverbrauchertag (15.3.2015) aufgegriffen und richtet sich mit einem Appell an die Entscheidungsträger in der Politik, mit Hilfe des WHO-Modells ungesunde Lebensmittel zu entlarven und durch Werbeverbote zur Verhältnisprävention beizutragen. Letzteres bedeutet, dass die Lebens- und Umweltbedingen so verändert werden, dass ein gesunder Lebensstil erleichtert wird. Längst haben Ärzte und Wissenschaftler nämlich erkannt, dass der Appell an den Einzelnen, gesund zu leben, nicht ausreichend ist, um die Zunahme der Adipositas und ihrer Folgeerkrankungen einzudämmen. Da sich bereits die Lebensmittelkennzeichnung durch die „Lebensmittelampel“ politisch nicht durchsetzbar war, bleibt abzuwarten, ob diese WHO-Initiative Wirkung zeigen wird.
Martin Liborak
Weiterführende Informationen:
Deutsche Adipositas-Gesellschaft
Pressemitteilung: Verbot von Kinderwerbung soll Kinder vor Übergewicht schützen - Neue WHO-Methode entlarvt ungesunde Produkte
Weltgesundheitsorganisation (WHO)
WHO Regional Office for Europe Nutrient Profile Model
WHO European Ministerial Conference:
Vienna Declaration on Nutrition and Noncommunicable Diseases in the Context of Health 2020
Verbraucherschutzorganisation Foodwatch
Wie die Industrie aus Kindern Junkfood-Junkies macht